Sunday 6 October 2013

Europäische Asylpolitik: Warum Dublin abgeschafft werden muss

Mehr als 300 tote Flüchlinge an Europas Mittelmeerküste sollte uns eigentlich dazu anregen, über die Grundlagen der europäischen Flüchlingspolitik ernsthaft nachzudenken, doch bei den Reaktionen europäischer Politiker stößt man vor allem auf grenzenlosen Zynismus. „Kann man mehr tun? Ja, aber das ist eine Sache der Mitgliedsstaaten,“ sagte vorgestern ein Sprecher von Innenkommissarin Cecilia Malmström. „Man darf sich da keine Illusionen machen,“ sagt der Sprecher, und weist darauf hin, dass es „nicht realistisch ist zu denken, dass man jede Tragödie oder jeden Tod im Mittelmeer vermeiden könnte.“ Zwischen 1993 und 2012 sind insgesamt 17,306 Menschen beim Versuch Europa zu erreichen ums Leben gekommen, mal ganz von den undokumentierten Toten abgesehen. Ist es etwa idealistisch zu glauben, dass ein anderen Europa alles in seiner Macht stehende hätte tun sollen, um diesen Menschen das Leben zu retten? Ein Massengrab im Mittelmeer ist der Preis, den die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten gewillt sind zu zahlen, um Flüchtlinge daran zu hindern, die EU-Außengrenze zu überschreiten.

Hunderte Tote in Lampedusa
Eigentlich wollte ist diesen Eintrag ganz anders beginnen, denn das Thema, um das es mir gehen soll, ist ein Anderes, obwohl es im gleichen Zusammenhang steht. Vor ein paar Wochen sind Alex, ich und unser Hund Napo zusammen mit dem Auto nach Griechenland gefahren, und unterwegs überquerten wir die rumänischen und bulgarischen Grenzen. Obwohl beide Länder schon lange zur EU gehören, wird man an der Grenze noch immer kontrolliert, denn Rumänien und Bulgarien wurde es bisher verwehrt, dem Schengenraum beizutreten. Zuletzt war es die französische Regierung, die sich am heftigsten gegen einen Schengen-Beitritt wehrte, doch Deutschland steht seinem Nachbarland hier in keinerlei Hinsicht nach. Warum das Ganze? Ein paar kluge Journalisten scheinen da Antwort ja gefunden zu haben, und verweisen auf eine potentielle Immigrantenflut aus dem Ostbalkan, oder auf Probleme mit Sinti und Roma. In Wirklichkeit liegt der Grund für das deutsch-französische Veto ganz woanders, und es wird einem beim Blick auf die Landkarte schnell klar wo das Problem liegen könnte. Bisher hat der Schengen-Raum nur eine Grenze mit der Türkei, nämlich über Griechenland. Wenn man über Griechenland irregulär in die EU einwandert, und ohne Grenzkontrollen weiterkommen will, muss man also eine Fähre nach Italien nehmen, was für Flüchtlinge unmöglich ist, ohne aufgegriffen zu werden. Alternativ kann man eine weitere Grenze illegal überschreiten. Wären Rumänien und Bulgarien im Schengen-Raum, könnte man bequem nach Deutschland und Frankreich weiterreisen, ohne kontrolliert zu werden, und genau deshalb gibt es das deutsch-französische Veto.

Bereits 1996 schrieb Sarah Collinson über eine europäische Asylpufferzone, welche im Jahr 2013 größtenteils realisiert wurde. In diesem Fall entsteht eine Pufferzone, indem Rumänien und Bulgarien systematisch der Beitritt zum Schengener Abkommen verwehrt wird. Griechenland wird so mit Absicht von EU-Kerngebiet abgeschnitten, um Flüchtlingen die Weiterreise nach Deutschland oder Frankreich zu verwehren. Für irreguläre Migranten führt der Weg in die Legalität über einen Asylantrag, denn zur legalen Einwanderung braucht man entweder den Pass eines reichen Landes oder einen Job in der EU bei dem man mindestens €60.000 verdient. Nach dem Einreichen des Asylantrages sagt die Dublin-Verordnung, dass in vielen Fällen jenes Land zuständig ist, indem zuerst EU-Territorium betreten wurde. Um die Reiseroute nachvollziehen zu können, werden von jedem irregulären Einwanderer beim ersten Kontakt mit den Behörden eines EU-Mitgliedsstaates die Fingerabdrücke aufgenommen. Es gilt also zwischen den Mitgliedsstaaten folgendes Prinzip: wenn man einem Flüchling die Einreise ermöglicht hat, ist man auch für ihn verantwortlich. Ein Land mit EU-Außengrenze sollte deshalb besser seine Grenzen dicht machen, und Flüchtlinge gar nicht erst einreisen lassen. Ich denke mir das nicht aus, sondern habe das vor Kurzem von einem hochrangigen Mitarbeiter der Kommission bestätigt bekommen, dessen Namen ich hier nicht nennen kann. Die Kommission sagt, es liegt an den Mitgliedsstaaten ein anderes System zu entwicklen – das stimmt aber so nicht. Die im Moment gültige dritte Version der Dublin-Verordnung wurde vor Kurzem von der Kommission selbst vorgeschlagen, und eben diese Verordnung ist teilweise dafür verantwortlich, was jede Woche auf Neue an Europas Grenzen passiert. Das Dublin-System muss enden, und die Kommission hat die politische Aufgabe eine Alternative vorzuschlagen.

Nächstes Wochenende, beim Landesparteitag der SPD-Sachsen, werde ich fünf Minuten Zeit dafür haben, über eine weitreichende Reform des europäischen Asylsystems zu sprechen. Ein von mir entworfener, und von der AG Migration und Vielfalt der SPD-Sachsen eingereichter Antrag dazu liegt vor, und ist hier nachzulesen – er orientiert sich an einem Blogpost aus dem letzten Jahr. Es ist leider eine traurige Ironie, dass die aktuellen Geschehnisse uns für dieses Anliegen Rückenwind geben. Wenn der Antrag angenommen wird, muss er beim Bundesparteitag eingereicht werden, und es besteht die Chance, dass er ins SPD-Parteiprogramm aufgenommen wird. Wünscht mir also viel Glück, denn das hier könnte wirklich etwas bewirken.


Harald Köpping

Friday 4 October 2013

The Cynics Win: European Asylum Policy 130 Deaths Later

Hundreds of dead refugees on Europe’s shores on a single day should give us cause to reflect on the basic principles of the European asylum policy, but cynics would not be disappointed if they heard the responses of our policy-makers today. “Can we do more? Sure, but that’s the member states’ responsibility,” says a spokesman of Home Affairs Commissioner Malmström. “Be under no illusion,” he continues, “it is not realistic to think that every tragedy, every death in the Mediterranean can be avoided. We are neither naïve nor too idealistic.” Between 1993 and October 2012 there have been 17,306 documented refugee deaths along the borders of Europe. This week this is already the second incident. Is it idealistic to think of a different Europe that does everything in its power to save those lives? The mass grave that the Mediterranean has become is the price that the European Union and its member states are willing to pay to prevent refugees from ever crossing our borders.

Bulgaria's border with Turkey
I have to say I did not mean to start this post like this. The issue that I want to talk about is another, even though it is closely related. Alex, me and our dog Napoleon have recently driven all the way to Greece, crossing Romania and Bulgaria on the way. Although both countries have been members of the EU for some time, we have had to show our ID-cards at the border, as they have not been permitted to enter the Schengen Area. Last week it has been France that has voiced its opposition the loudest, although Germany has been equally vocal. Ever wondered why? Well, it seems that some journalists have come to some very insightful conclusions on the matter. Reuters links it to a supposed “new influx of immigrants if Romanian and Bulgarian citizens are allowed to travel freely without passports in the Schengen zone.” France24 thinks immediately of a potential Roma-issue, ignoring that the border between Romania and Hungary poses no frontier to EU-citizens, which the Roma in question clearly are. In reality the reason for the Franco-German veto is to be found elsewhere, and it becomes quite apparent when one looks at the map of Europe. At the moment, the Schengen Area has only one border with Turkey, via which a large part of Europe’s irregular immigrations currently enter the EU, and that border is with Greece. From Greece, one has to either take a ferry to Italy, which is next to impossible for a refugee without being spotted, or one needs to attempt crossing another border illegally. If Romania and Bulgaria were to join Schengen, one could easily travel to the EU-core without the need for any further hassle. Keeping Romania and Bulgaria out of Schengen avoids such a scenario.

In 1996 Sarah Collinson wrote about the construction of a European asylum buffer zone. In 2013, this buffer zone has, for the most part, been realised. In this case, a buffer zone is created by the unfounded and systematic exclusion of Romania and Bulgaria from the Schengen Area. Greece is thus deliberately cut off from the mainland EU, preventing irregular migrants from reaching the European core. The only way for irregular migrants into legality is an asylum application, as regular immigration requires either a rich country’s passport or a job in the EU with an income of over €60,000. If an asylum application is finally submitted, the Dublin-Regulation establishes that in many cases an asylum application needs to be handled by the member state of first entry into the EU. To verify which member state that is, the fingerprints of every irregular migrant are taken upon first contact with public officials. The idea behind these rules is that if an immigrant is able to illegally enter a member state’s territory, it is that same member state’s responsibility to deal with them, and to finance and lodge them while their application is processed. If you have an external border, you thus want to do everything in your power to prevent asylum seekers from entering your territory. I have had this confirmed by an official from within the Commission during my PhD research, whose name I cannot give here. The European Commission says that it can do nothing, that it is up to the member states to create a more humane asylum system. This is a fallacy. The Dublin-Regulation, which the Commission itself has proposed, is in part responsible for the ever-increasing fortification of the EU. The Dublin-system has to end, and it is the role of the Commission to propose an alternative.

Next weekend, at the party congress of the Saxon SPD, I will have five minutes to speak on a substantial reform of the European asylum system along the lines of a previous blogpost. I had drafted a proposal on this, which has now been submitted the party in the name of the working group “Migration and Diversity” of the Saxon SPD. If the proposal is accepted, it will be forwarded to the national party congress, where it will again have to be presented. Wish me good luck that things are going to work out. If this all works out as planned, it could really make a difference.


Harald Köpping


Collinson, S. (1996). Visa Requirements, Carrier Sanctions, 'Safe Third Countries' and 'Readmission': The Development of an Asylum Buffer Zone in Europe. Transactions of the Institute of British Geographers. 21 (1). 76-90.